extranos.Bizarr
Zur Definition des Labels
Der Name extranos.Bizarr mag auf den ersten Blick irritieren. Für manche Besucher*innen wirkt er vielleicht fremd, unverständlich, ja sogar anstößig oder unanständig. Doch gerade diese Irritation ist Teil unserer Ästhetik – und durchaus gewollt. Wir nehmen solche Reaktionen dankbar in Kauf, wie der Schauspieler seinen Applaus.
Wäre unser Auftritt eine Szene auf der Bühne, so spräche man wohl von Brechts Verfremdungseffekt oder Artauds „Theater der Grausamkeit“. Und tatsächlich: Als ästhetischer Ausdruck bringt diese Konfrontation mit dem Unvertrauten unsere methodische Arbeitsweise auf den Punkt.
Die beiden Begriffe extranos (spanisch für „fremd“) und bizarr (französisch für „seltsam“, „ungewöhnlich“) stehen sprachlich und kulturell für das Andere, das Nicht-Vertraute. Zusammengesetzt ergeben sie eine doppelte Verfremdung: das FREMDE-FREMDE. Eine tautologische Spiegelung – wie der Blick ins eigene Spiegelbild, das einem doch fremd erscheinen kann.
Das Unbehagen, das unser Label möglicherweise auslöst, mag für manche verwegen, gar verrucht wirken – irgendwo zwischen verdorben und versaut. Doch in Wahrheit ist es nicht unser Label, das solche Assoziationen aufwirft. Es sind die unbewussten Fantasien der Betrachtenden selbst, die durch extranos.Bizarr sichtbar gemacht werden. Unser Label wird zur Projektionsfläche.
Darin liegt der eigentliche Mehrwert unserer Arbeit. Kein messbarer ROI, sondern ein ästhetischer Zugang, der sich deutlich von klassischen, betriebswirtschaftlich geprägten Event-Agenturen unterscheidet. Denn es macht sehr wohl einen Unterschied, ob ein Würstchen in der Werbung aus Fleisch, aus Plastik – oder gar als Anal-Dildo inszeniert wird.
Wer darüber nicht schmunzeln kann, erkennt vielleicht trotzdem, wo der metaphorische Stock gerade steckt. Auch das ist eine – durch Erotik vermittelte – ästhetische Erfahrung.
extra nos
Definition des Labels Vol.-No. 2
Einen gänzlich anderen Zugang zur Begrifflichkeit eröffnet das theologische Konzept der Gnade – genauer gesagt: der Gnade extra nos, also „außerhalb von uns“. In der lutherischen Tradition beschreibt dieser Ausdruck ein zentrales Moment des Glaubens: Dass die Erlösung nicht im Menschen selbst, nicht aus seinem Tun oder Verdienst, sondern allein durch etwas außerhalb seiner selbst, durch das göttliche Gegenüber geschieht.
In diesem Gedanken liegt eine tiefe Demut – aber auch eine radikale Entgrenzung des Selbst. Denn extra nos bedeutet, das Eigene zu überschreiten, das Innen dem Außen zu öffnen. Was im spirituellen Kontext als göttliche Gnade beschrieben wird, kann im ästhetischen Prozess als das Eindringen des Anderen in das Eigene verstanden werden: eine Grenzverschiebung, eine Durchlässigkeit, eine Störung der Ordnung – schöpferisch, beunruhigend, befreiend.
Diese zweite Bedeutungsebene des Labels extranos.Bizarr verweist somit auf das Erlebnis des Anderen, das nicht kontrollierbar, nicht vereinnahmbar ist – und gerade darin seinen Wert besitzt. Es geht nicht um bloße Provokation, sondern um das Aufbrechen gewohnter Wahrnehmungsstrukturen. Um die Einladung, sich selbst zu verlassen – und dem Fremden Raum zu geben.
Ob im theologischen, ästhetischen oder erotischen Kontext: Das Moment des extra nos ist eine Bewegung hinaus – über das Ich, über das Gewohnte, über das Sagbare hinaus. Es ist der Moment, in dem das Bizarr-Fremde nicht mehr als Bedrohung, sondern als Möglichkeit erscheint.
Oder, wie Bataille vielleicht gesagt hätte: „Im Äußersten begegnet sich das Heilige und das Obszöne.“